Die Welt der Dunkelheit – Resumee nach 1 Jahr Vampire live


Die WoD (World of Darkness) hatte es mir schon vor vielen Jahren angetan, was dazu führte, dass ich mir ein paar Bücher zulegte, aber bis ich endlich dazu kam, sie spielerisch zu erproben, gingen einige Jahre ins Land…

Wirklich spielen konnte ich in dieser Welt erst viel viel später. Dateien in meinem Rollenspielordner verraten, dass ich bei der Planung einer Vampirjägergruppe für eine Camarilla-Chronik schon 2009 aktiv war. Ich hatte absolut keine Ahnung davon, was ich da überhaupt machte. Wenige Jahre später; es lässt sich für mich leider nicht rekonstruieren, wann, spielte ich einen Abend lang am Tisch einen sehr flachen Charakter, der mangels Hintergrundwissen und aufgrund einer sehr unsicheren SL nicht wirklich Spaß machte. Damals wusste ich kaum was über die reiche Welt, die da zu meinen Füßen lag. Wieder zogen ein paar Jahre ins Land, ich war zu Studienzwecken schon umgezogen, und ich bestellte mir das englische Grundregelwerk; es folgten weitere Bücher. Immer noch kein Spiel in Sicht, meine neue Heimat bescherte mir auch kein Glück bzgl. P&P und LARP, aber das Interesse an dieser WoD ließ nicht los.

So spielte ich weiter Fantasy und probierte dort herum, traf dann nach Jahren auf einer Con einen Vampir-NSC, der in seinem Gebaren auffällig nach WoD roch. Wie sich im Laufe verschiedener Cons herausstellte, war der Charakter von seiner Aufmachung her daran angelegt und der Spieler, der dahintersteckte, tat sich als sehr annehmbarer Spielpartner hervor, den ich nun zu meinen Freunden zählen mag und als Co-SL bei Regelfragen assistiere. Ein Glück war, dass Andre auf unsere JHV kam, um mit uns OT Spaß zu haben. Ich sprach mit ihm über seinen NSC und darüber, dass ich eigentlich schon seit Jahren Lust habe, Vampire live auszuprobieren, aber bisher immer davor zurückschreckte, weil mich die Qualität, mit der solche Cons manchmal geführt werden, vergraulte. Er offenbarte mir, dass er ganz bald eine Sabbat-Chronik in Hamburg starten will. Was für ein glücklicher Zufall! Ich dachte mir, dass ich dem unbedingt eine Chance geben sollte, weil wir, was die Spielphilosophie angeht, uns sehr ähnlich sind.

Ich frohlockte, denn mir tat sich eine einmalige Gelegenheit auf: Ich konnte OT erleben, was meine Figur IT auch durchmachen wird. Zumindest zum Teil. Soll heißen: Die WoD ist ein Spiegel unserer echten Welt, nur etwas düsterer. Es verschwinden mehr Menschen, es gibt mehr unerklärliche Unfälle, Kriminalität ist weiter verbreitet, Menschen geht es nicht ganz so gut, wie uns. Kurzum: Die WoD ist wie unsere Welt, nur düsterer. Und warum? Weil es dort Vampire gibt, die unerkannt unter den Menschen schon seit Jahrtausenden einen ewigen, nimmerendenden Krieg untereinander führen und alles dafür tun, damit ihre Existenz unerkannt bleibt. Dazu ist ihnen jedes Mittel recht. Eines davon ist es, unerkannt zu bleiben. Nur sehr sehr wenige Menschen wissen von den Vampiren, und diese werden in diesen grausigen Strudel mit hineingezogen – oder umgebracht. Ich wollte als Mensch starten, und solche Charaktere wissen genausoviel über die Vampire, wie jemand, der das Setting nicht kennt: Nämlich gar nix.

Ich kannte durch meine Lektüre diese Welt schon recht gut. Vor allem eine der beiden großen Sekten, in denen sich die Vampire tummeln: Die Camarilla. Vieles in den Büchern legt den Fokus auf die Camarilla, aber der Sabbat ist mehr als nur ein Antagonist und hat im Laufe der Jahre seine eigenen Bücher bekommen und ist nicht minder interessant. Ich hatte also nicht den Luxus, in eine komplett unbekannte Welt getaucht zu werden und mir alles wirklich erspielen zu können. Mancher mag sich hier denken: „Schade, hättest du gar nix von der Welt gewusst, wäre der Einstieg spannender gewesen!“, aber ich sehe es positiv: Dadurch, dass ich weiß, was wie läuft, wie ich in gewissen Situationen reagieren muss und wie gewisse Dinge „passieren“, hatte ich eigentlich sogar einen noch besseren Startpunkt für diese Chronik, als wenn ich gar kein Hintergrundwissen gehabt hätte. Ich hatte die Basis, aber vom Sabbat absolut keine Ahnung: Ich wusste, wie ich es ausspielen werde, wenn mir ein Vampir seinen Befehl aufzwingen will oder wie verzehrend und zerstörerisch das Blutsband ist, das Menschen wie Sklaven an blutrünstige Bestien bindet. Ich wusste, wie ich die Ekstase des „Kusses“ ausspielen würde; was Verdunklung ist und das Präsenz 2 eine horrende Panik im Opfer erzeugt; sprich, alles, womit meine Figur konfrontiert werden könnte. Ich wusste aber nicht, wie der Sabbat funktioniert. Und weiß es immer noch nicht so ganz richtig, weil ich mich davor hüte, zuviel zu lesen.

Aber genug der Theorie, genug zu meinem Hintergrund. Was hat sich rollenspieltechnisch hier für mich ergeben?

Die Bücher zur WoD schreiben nicht von einer Kampagne, sondern von einer Chronik, Zeit wird häufig in Szenen gemessen und generell liegt der Fokus darauf, gemeinsam eine Geschichte zu erzählen. Dungeoncrawling sucht man bei Vampire eher vergebens. Nicht umsonst spricht der Untertitel des GRW vom „personal horror“, der spielerisch greifbar gemacht werden soll. Anfangs hat sich, rein aus der zusammengelesenen Welt, für mich nicht ergeben, warum hier so sehr „auf Theater gemacht wird“. Im Spiel wurde es aber schnell klar:

  1. Alle Figuren, die mitspielen, stammen aus der gleichen Welt. Der absurde Schmelztiegel an Kulturen, den man auf Fantasy-Cons häufig zu sehen bekommt, existiert hier nicht.
  2. Gespielt wird meistens an einem Abend. Wochenendcons sind eher selten, noch längere Events sowieso. Dafür wird aber regelmäßig gespielt; meist einmal pro Monat. Das ist die Hauptsession.
  3. Es gilt aber generell, dass immer gespielt werden kann. Wir bespielen 2019, also gibt es auch Smartphones, eMail und co. So kam es schon oft vor, dass mir nach Einbruch der Dunkelheit eine Nachricht per Telegram geschickt wurde, in der Pläne, Instruktionen oder Charakter-Smalltalk stand oder mich ein Charakter anrief (ein Telefonat, was meist mit einem angenehmen OT Plausch endet). Das Rollenspiel hat hierdurch einen Weg gefunden, abseits von Cons erfahren zu werden, was ich als sehr bereichernd empfunden habe. Mal eben in der U-Bahn über den Plot sinnieren und mit anderen planen? Im Fantasy undenkbar (oder extrem unpassend). Da die Menschen in der WoD auch gar nicht mitbekommen dürfen, dass es Vampire gibt, entsteht ein zusätzlicher Reiz noch dadurch, dass dieses „Spiel zwischendurch“ entsprechend unauffällig abläuft. Theoretisch könnte jeder, der dir abends begegnet, gerade larpen und du merkst es einfach nicht und das hat etwas herrlich Konspiratives, was einen eigenen Reiz auf mich ausübt.
  4. Spieler können sich, so oft sie wollen, zu Mini-Sessions treffen. Das sind Abende mit weniger Mitspielern, auf denen Intrigen, Pläne und sonstige Vorhaben gestaltet werden. Diese Sessions können auch schon nach wenigen Stunden vorbei sein.
  5. Auch wenn es bei uns noch keine Relevanz hatte, so ist es prinzipiell möglich, IT auch in einer anderen Stadt an einem IT-Treffen teilzunehmen. Es gibt Camarilla-Verbände, die deutschland- oder gar europaweit organisiert sind. Da der Sabbat in der Community eher stiefmütterlich behandelt wird, steht dies bei uns noch aus.

Die Regelmäßigkeit, die feste Welt, die Stammspielerschaft und die räumliche „Einengung“, die sich manchmal aus der Location heraus bedingt, führen dazu, dass eine Art von Spiel entsteht, die eher an Theater erinnert, als es ein Lagerfeuer auf einer Fantasyabenteuercon vermitteln könnte. Die Charaktere sind sehr eng miteinander verwoben. Der Fokus liegt nicht auf dem Plot, sondern auf dem, was die Spieler untereinander treiben. NSC sind eher seltener zuhanden und werden manchmal auch für Kurzauftritte von SC gespielt, wobei das eher die Ausnahme ist. Diese Form von Spiel erfordert mehr Eigeninitiative, was auch dazu führt, das flache Charaktere aus Mangel an Spaß schnell beiseite gelegt werden und nicht wieder auftauchen. Das Äquivalent von „Grüßt euch, ich bin Alrik und Krieger und jage Orks, weil sie meine Eltern getötet haben!“, funktioniert hier noch weniger als auf Fantasycons – wobei die enorme Plotdichte dort, falls vorhanden, solche Konzepte noch halbwegs mittragen kann. One-trick-ponies verlieren hier sehr schnell ihren Reiz, zumal der Fokus im Sozialen liegt und Kämpfe eher weniger stattfinden. Wenn aber mal gekämpft wird, dann groß inszeniert und pointiert.

Apropos Gewalt: Mord wird im Vampire „echter“ gehändelt, als im Fantasy. Je nachdem, wie ein Vampir so tickt, geht er ganz anders damit um, als man es von einem Menschen erwarten würde. Da er neben seiner eigenen Seele noch ein wildes Raubtier in sich trägt, was beständig um die Vorherrschaft kämpft, entsteht dadurch eine unikate Dramatik. Jeder Gewaltakt nährt die Bestie und zerstört den restlichen Funken Menschlichkeit, der noch im untoten Körper steckt. Eine Gratwanderung, die manche sogar in die finale Vernichtung führt. Auch wenn insbesondere der Sabbat liberaler mit Gräueltaten umgeht, als die Camarilla, so sucht man dennoch auf einer Vampire-Con vergebens nach massenhaften NSC-Schlachtungen, wie sie auf Fantasyveranstaltungen oft passieren. Der Grundtenor unterscheidet sich hier sehr stark.

 

Intrigenspinnerei und Downtime spielen in diesem Setting auch eine große Rolle. Die Raubtiere gönnen selten anderen mehr Macht, als sich selbst. Wer unten steht, muss Angst haben, abgehängt zu werden; etwas, was die Instinkte der Bestie anspricht.
Die sog. Downtime findet zwischen den Sessions über eMail oder Chat statt. Der Orga können bspw. eMails mit Vorhaben geschickt werden, die dann getelled werden. Tritt eine Seuche in der Stadt auf, könnte ein Charakter bspw. einen Arztkontakt dazu befragen. Je nach Situation läuft dies dann über eMail oder Telefon ab; wenn die Möglichkeiten es zulassen, wird das Treffen vielleicht sogar ausgespielt und man erhält nach Drohung, Erpressung oder Bestechung oder einfach nur geschickter Beredung ein paar gestohlene Akten, die von einer unerklärlichen Blutkrankheit sprechen – was wieder einen ganz eigenen Plot hinter sich herziehen kann.

 

Für mich spielt sich Vampire anders, als ich es von normalen Fantasycons gewohnt bin; auch wenn wir mit Knochenwald schon recht nahe an der Spieltiefe sind, die dieses Setting bietet, so ist es meist die Natur einer Fantasycon, die ein tieferes Eintauchen erschwert, weil man ständig mit neuen, unmessbaren Faktoren anderer Spielwelten konfrontiert wird. Die enge Verwebung der Charaktere in einer festen Welt und die kontinuierlich erzählte Geschichte sind zwei spannende Faktoren, die viel zur Spielqualität beitragen. Auch ist die Illusion bzw. Immersion leichter zu halten, weil weniger abgetarnt werden muss, als im Fantasysetting.

Da der persönliche Horror im Vordergrund steht, geschehen teils sehr intensive Spielszenen – wenn man sich denn darauf einlassen und diese mitgestalten will. Wer rumsitzt und wartet, wird hier noch mehr enttäuscht als auf Cons, wo einem der Plot auf einem NSC-Tablett gereicht wird. Weil alle die gleiche Welt bespielen, funktioniert das Regelwerk auch sehr flüssig. Spielereien wie die vampirischen Spezialkräfte (im Spiel Disziplinen genannt) können eben nur funktionieren, wenn jeder Bescheid weiß. Umso spaßiger und spielförderlicher ist dann aber auch ihr Einsatz.
Wer also bereit ist, Zeit und Energie in dieses Setting zu investieren, dem eröffnet sich eine enorm spannende Welt. Darin zu spielen hat mir schon in diesem ersten Jahr neue Aspekte von mir aufgezeigt und ich will mal sehen, was sich da noch so auftut. Dafür muss man aber auch willens sein, mit Arbeit einzutauchen – aber generell gilt wohl für alle Rollenspiele, dass eine gute Vorbereitung auch ein gutes Spielerlebnis ermöglicht. Im Rückblick kann ich nur sagen, dass meine Entscheidung, mit einem Menschencharakter zu starten, die einzig richtige wahr. Ansonsten wären mir unzählige Spielmomente vorenthalten – nicht zuletzt eine endgeile Verwandlungsszene, welche die Liste meiner persönlichen Larphighlights oben anführt.